Antifragilität: Oder warum ein robustes Unternehmen nicht immer das Ziel sein sollte

Markus/ März 14, 2020/ Nachgedacht/ 0Kommentare

Wenn man jemanden fragt, was wohl das Gegenteil von fragil oder zerbrechlich ist, erhält man häufig die Antwort: stabil, unzerbrechlich oder robust – doch das stimmt alles nicht. Das exakte Gegenteil müsste eher etwas sein, was durch Unordnung, durch Erschütterungen oder auch durch das Eingehen von Risiken sogar besser wird. Nassim Nicholas Taleb, Autor des Buches ‚The Black Swan‚, nennt diesen Zustand in seinem gleichnamigen und sehr empfehlenswerten Buch ‚antifragil‚, welches ich hier etwas näher beleuchten möchte. Was das ganze mit Innovation zu tun hat, erfahrt oder erahnt Ihr (spätestens) am Ende des Artikels.

Taleb beschreibt in ‚Antifragil‘ die drei möglichen Arten der Belastbarkeit als Triade, die ein System, eine Strategie oder ein Bereich ausgesetzt sein kann:

fragil - robust - antifragil 

Das Fragile ist auf Störungsfreiheit angewiesen und bricht bei jeglicher Art von Unsicherheit; etwa wie die Karriereleiter in einem Konzern, die durch Unachtsamkeit oder durch CLMs (carreer limiting moves) ziemlich schnell hinüber sein kann. Dem Robusten sind äußere Stressoren relativ egal. So kann ein Taxifahrer beispielsweise Ärger mit einem einzelnen Kunden haben, was aber wenig Einfluss auf sein Gesamtgeschäft bzw. auf seine weiteren Fahrgäste hat (Im Kontext von Uber und autonomen Fahren stellt sich die Situation vielleicht ganz anders dar).

Das Antifragile wächst vielmehr durch Stressoren. Wie z.B. bei der Hydra, der zwei Köpfe an gleicher Stelle nachwachsen, an der man gerade einen abgeschlagen hat. Etwas weniger mythisch ist vielleicht das Phänomen der negativen Publicity: Die Indexierung von Musikalben (Die Ärzte, Falco, Frankie Goes To Hollywood… ja, das waren mal Bands) hatte zumindest früher zwangsläufig zur Folge, dass sie umso begehrter waren und damit noch erfolgreicher wurden.

In der oben dargestellten Triade ist das Robuste nicht immer die „Goldene Mitte“. In der weiteren Betrachtung spielt es zudem nur eine untergeordnete Rolle. Ebenso ist festzuhalten, dass fragil und antifragil nur relative Begriffe und keine absoluten Eigenschaften sind. Die Positionierung auf der linken Seite (fragil) bedeutet lediglich, dass der betreffende Eintrag fragiler ist als sein Gegenstück auf der rechten Seite (antifragil). Und natürlich können Dinge nur bis zu einem gewissen Maß antifragil sein. Trotzdem ist Antifragilität im Großen und Ganzen erstrebenswert, allerdings kann es auch sein, dass das Erreichen nicht möglich oder nicht im Verhältnis zum dafür notwendigen Aufwand steht.

Fast jedes Thema, jeder Begriff und jede Strategie lässt sich in eine der Kategorien einordnen. Herauszufinden ist, in welche und was man ggf. dafür tun kann, um seine Bedingungen zu verbessern. So würde wahrscheinlich sich der zentralisierte Nationalstaat links im Bereich „fragil“ wiederfinden und das dezentralisierte System wäre eher rechts, unter „antifragil eingeordnet. Ebenso wäre eine monolithische Systemarchitektur wohl eher links zu finden, im Gegensatz zu einer Microservice-Architektur, die rechts als antifragil einzustufen ist. (Natürlich gibt es auch hier ganz viele andere Faktoren zu berücksichtigen.)

Konkav – konvex: Identifizieren, was fragil und was antifragil ist

Tatsächlich ist die Frage, ob ein System oder eine Strategie fragil oder antifragil ist, nicht immer einfach zu beantworten. Entscheidend hierbei ist, wie es oder sie auf Stressoren reagiert.

Fragil

Nehmen wir hier als Beispiel des deutschen liebstes Kind: das Auto. Wenn wir damit bei geringer Geschwindigkeit (bspw. 5 km/h), beim Einparken den Begrenzungs-Poller übersehen, so hat das außer ein paar Kratzern relativ wenig Auswirkungen, selbst wenn wir das 20x machen. Fahren wir nun aber mit 100km/h einmal (1x) gegen eine Mauer, dürfte zumindest das Auto ein Totalschaden sein. Das bedeutet, die Auswirkungen sind keineswegs linear zum Stressor und das Auto ist damit eindeutig fragil. Mathematisch dargestellt, zeigt sich das Verhältnis von Stressfaktoren zu den Auswirkungen in einer konkaven Funktion.

Antifragil

Antifragilität zeigt sich dagegen als konvexe Funktion. Es reagiert positiv auf den Stressfaktor und umso mehr, wenn man die Intensität dessen erhöht. Ein wahrer Meister der Antifragilität ist Mutter Natur (Ich komme später noch öfters darauf zurück). Wenn wir unseren Körper mit Gewichten trainieren, so ist es für den Muskelaufbau effizienter, wenige Wiederholungen mit schweren Gewichten zu machen: nehmen wir an, wir stemmen 1 x 150kg. So ist dies im Kontext des Muskelaufbaus wesentlich effizienter als die langweiligen und endlosen Wiederholungen mit kleinen Gewichten, sagen wir 10x15kg. Unser Körper sieht hierbei in Form von Muskelaufbau quasi voraus, dass er gefordert wird und wird folglich in den nächsten Tagen dafür sorgen, 160kg und mehr schaffen zu können. Man kann also sagen, der Körper reagiert positiv auf den Stressfaktor – je mehr ich stemme (bis zu einem gewissen Maß natürlich), umso stärker wird der Muskelaufbau sein.

Antifragilität oder Fragilität bezeichnet also etwas, dessen Nutzen oder Nachteil sich durch die Einwirkung von etwas mit Volatilität Zusammenhängenden einstellt. Dies etwas kann alles mögliche sein: Unsicherheit, Variabilität, Risiko, unvollständiges Wissen, Irrtum, Zeit uvm.

Formal gesprochen kann man sagen, das antifragile System profitiert bis zu einem gewissen Maß von äußeren Einwirkungen, das fragile System leidet eher darunter.

Averages, Schmaverages! – Warum Varianz wichtiger als der Durchschnitt ist

Bei der Betrachtung von den Auswirkungen oder den Folgen von Fehlern ist es zudem wichtig, vielmehr auf die Varianz als auf den Durchschnitt zu achten. Betrachten wir hierzu folgende Aussage: „80% aller Biotech-Firmen gehen im 1. Jahr pleite, weitere 15% in den nächsten 5 Jahren und nur 5% überleben insgesamt.“ – Der Durchschnitt sagt mir; „Investiere niemals in Biotech-Firmen!“ Völlig unberücksichtigt bei dieser Aussage sind allerdings die enormen Gewinne, die erfolgreiche Biotech-Unternehmen abwerfen können. Setzt man die Anzahl der überlebenden Firmen in Relation zu den zu erwartenden Gewinnen dieser Firmen, erkennt man eine konvexe Funktion. Sicherlich ist eine solche Investition mit Risiken verbunden und sollte entsprechend abgesichert sein. Aber dazu später mehr. Was uns zudem häufig bei der Bewertung von Auswirkungen in die Irre führt, ist der sogenannte Lindy-Effekt.

Der Lindy-Effekt

Der Begriff „Lindy-Effect“ wurde maßgeblich von Albert Goldman im Jahre 1964 geprägt. Er beobachtete Comedians im „Lindy’s Deli“, die über ihre Karriere diskutierten. Sie kamen zu dem Schluß, dass umso häufiger sie in der Vergangenheit aufgetreten sind, desto mehr Auftritte würden sie auch in der Zukunft haben, sprich umso erfolgreicher werden sie. Oder verallgemeinert: Es wird erwartet, dass das, was schon länger existiert, auch weiter existieren wird – oder noch prägnanter: Die Zukunft liegt in der Vergangenheit. „Wenn Firmen schon lange existieren, werden sie auch weiter existieren und erfolgreich sein!„, oder: „Et hätt noch emmer joot jejange!“ – Wie gut diese Strategie pauschal funktioniert, habe ich in einem vorherigen Blog Post beschrieben. Ein gutes Gegenbeispiel ist allerdings dagegen Gold, welches über tausende von Jahren als wertvoll erachtet wird. Es gibt zwar keine Garantie, aber es gilt als wahrscheinlich, dass dies auch in den nächsten Jahren so sein wird. Grundsätzlich lässt sich also ableiten: 1. vergangene Ergebnisse lassen keinen Rückschluss auf zukünftige Ergebnisse zu und 2. Langlebigkeit ist nicht die einzige (und nicht wichtigste) Metrik, die man berücksichtigen sollte und 3. insbesondere neues oder neuartige Ideen, Technologien (Bitcoin!) und Strategien lassen sich danach nicht bewerten.

Weniger ist mehr – the Greenlumber Fallacy

Photo by Dlanor S on Unsplash
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Taleb schreibt in Antifragile: „In einem der seltenen nicht-charlatanischen Bücher im Finanzbereich, das treffend „Was ich gelernt habe, als ich eine Million Dollar verlor“ heisst, macht der Protagonist eine große Entdeckung. Er bemerkt, dass ein Kerl namens Joe Siegel, einer der erfolgreichsten Händler für eine Ware namens „grünes Holz“, tatsächlich dachte, es handele sich um grün gestrichenes Holz (und nicht um frisch geschnittenes Holz, das grün genannt wird, weil es nicht getrocknet wurde). Und er machte es zu seinem Beruf, mit dem Zeug zu handeln! Währenddessen war der Erzähler mit großen intellektuellen Theorien und Erzählungen darüber beschäftigt, was den Preis der Waren in Bewegung setzte und: dabei letztlich Pleite ging. Es ist nicht nur, dass der erfolgreiche Holzexperte zentrale Dinge wie die Bezeichnung „grün“ für frisches Holz nicht kannte. Er wusste auch Dinge über Holz, die ein Laie für unwichtig hält. Menschen, die wir als ungebildet bezeichnen, sind vielleicht nicht ungebildet.

In seinem Buch beruft Taleb sich auf eine Heuristik, die er schon bei der Einstellung von Börsen-Händlern an der Wall Street verwendet hat: Je interessanter eine Unterhaltung, je kultivierter die Personen sind, desto eher kommt man zu der Annahme, dass sie in dem, was sie in der realen Wirtschaft tun, effektiv sind (etwas, das Psychologen den Halo-Effekt nennen, den Fehler zu glauben, dass sich Fähigkeiten, z.B. im Skifahren, unfehlbar in Fähigkeiten zur Leitung einer Töpferwerkstatt oder einer Bankabteilung umsetzen lassen, oder dass ein guter Schachspieler im realen Leben ein guter Stratege wäre).

Joe Siegel, aus obigem Beispiel wusste vielleicht nicht alles, aber das relevanteste, was für den Handel mit Grünholz notwendig war. Doch leider glauben wir häufig viel eher dem, der auch die guten Geschichten erzählen kann. Doch die Realität interessiert sich nicht für Geschichten, nur für Fakten. Tatsächlich ist es in der Realität nicht immer einfach, das Wichtige und Relevante (Signal) vom Unwichtigen (Rauschen) zu unterscheiden. So macht es wahrscheinlich keinen Sinn, täglich auf die Entwicklung des privaten Investitionsportfolio zu schauen, wenn es darum geht, eine langfristige Altersvorsorge aufzubauen. Im Gegenteil: dies führt wahrscheinlich eher dazu, dass man aufgrund von Rauschen die falsche Entscheidungen trifft.

Naiver Interventionismus – ein Bärendienst

Im Allgemeinen herrscht der Glaube, dass Zufall etwas Schlechtes sei und vermieden werden muss indem man versucht, ihn gänzlich zu eliminieren. Dies ist, wie häufig zu beobachten, schlicht unmöglich. Vielleicht schaffen wir es, den Zeitpunkt des Eintretens zu verzögern, was dann zu wesentlich gravierenderen Auswirkungen in der Zukunft führen kann.

Hierfür gibt es unzählige Beispiele: Helikopter-Eltern, die sämtliche, noch so kleine „Schäden“ von ihren Kindern fern halten, nicht notwendige Medikationen, die zu Resistenzen oder Allergien führen, EU Subventionen, oder falsch verstandene Rettungsaktionen für den Bankensektor.

All diese künstlichen Eingriffe machen etwas von seiner Natur aus Robustem oder sogar Antifragilem zu etwas sehr Fragilem. Darunter ist nicht zu verstehen, dass „der Markt das schon alles regelt“. Ein komplexes System benötigt jedoch nicht zwangsläufig komplizierte Systeme, keine Regulierungsmethoden oder ausgefeilten Strategien. Je einfacher, desto besser (KISS: keep it stupid simple). Komplizierte Eingriffe haben meist nicht vorhersehbare Wirkungsketten zur Folge. Allerdings ist es schwer, das Konzept der Einfachheit in das moderne Leben einzubringen. Doch: Weniger ist mehr – und meist auch effektiver.

Die Antwort auf das Black Swan-Problem

Photo by Roy Muz on Unsplash
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Taleb beschreibt den „Black Swan“ als ein unvorhersehbares Ereignis, welches große Auswirkungen hat und potentiell großen Schaden anrichtet. Es liegt in der Natur der Sache, dass der Mensch solche Ereignisse vorhersehen oder zumindest Erahnen möchte. Doch wie das mit den Vorhersagen so ist: Sie sind immer schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen. Allerdings kann man analysieren, ob ein System oder ein Unternehmen einem Black Swan-Event ausgesetzt sein kann.

Nehmen wir als Beispiel die aktuell grassierende Coronavirus (COVID-19)-Pandemie (und damit dieser Blogpost zudem gut ranked). Dies ist ein Black-Swan-Event, mit dem niemand gerechnet hat. Oder? Schon 2017 mahnte u.a. Bill Gates erstmals auf der Münchener Sicherheitskonferenz, dass die Welt sich besser auf derartige Bedrohungen vorzubereiten hat: „Die Welt muss sich auf Pandemien in derselben Art und Weise vorbereiten, wie sie sich auf einen Krieg vorbereitet“, sagt Gates bis heute. Das Echo aber war stets mau, nicht nur in München. Tatsächlich gab es 10 Jahre zuvor die sogenannte Lükex-Übung. In diesem Szenario ging man davon aus, dass in Deutschland durch einen aus Asien kommenden neuartigen Virus 27 Millionen Menschen erkranken und 102.000 sterben. 3000 Experten und Beamte aus Ländern und Bund bis hinauf ins Kanzleramt, waren beteiligt. Manches lief gut, anderes dagegen gar nicht. Heute würde man sich wohl wünschen, diese Übungen häufiger gemacht zu haben.

Oder nehmen wir als Beispiel einen Flugzeugabsturz: wir wissen, dass es passieren kann, allerdings nicht wann und mit welchen Folgen. Alles was wir tun können ist zu versuchen, die Wahrscheinlichkeit des Eintritts zu reduzieren, z.B., in dem wir Sicherheitskontrollen vor dem Boarding etablieren, um potentielle Gefährder im Vorfeld identifizieren zu können.

Alle Maßnahmen dienen also dazu, aus einem fragilen ein robustes oder sogar antifragiles System zu machen. Hierfür kann man drei wesentliche Grundregeln festlegen. Wie schon oben erwähnt, ist Mutter Natur ein wahrer Meister der Antifragilität.

1. Redundanz

Auch hier kann der menschliche Körper als Beispiel dienen: Er hat zwei Nieren, zwei Lungenflügel und baut Fettreserven auf. Alles, damit die Maschinerie im wahrsten Sinne des Wortes am Leben bleibt, falls es zu Ausfällen oder Störungen kommt. Auch in der IT-Architektur verwendet man im Sinne einer Ausfallsicherheit mehrere Instanzen eines Services, betreibt oder verwendet verschiedene Datacenter, gestalten möglichst unabhängige Services, um etwaigen Störungen verschiedensten Ausmaßes entgegen wirken zu können.

Was man allerdings feststellen muss ist, dass der Mensch aus Effizienzbestrebungen im Allgemeinen Redundanzen eher eliminiert, statt sie sinnvoll zu nutzen (Der Unternehmens-Manager spricht dabei häufig auch von den zahlreichen Synergien, die man heben kann und muß!). Erst jüngst hat die Bertelsmann-Stiftung konstatiert, dass 50% der Krankenhäuser in Deutschland obsolet sind. Was hätte die Schließung der Hälfte der Häuser wohl zur Zeit der anhaltenden Corona-Pandemie für Auswirkungen gehabt?

Was hier erschwerend hinzu kommt, dass man bei der Abschätzung der maximalen Worst Case-Szenarien stets von den Ereignissen der Vergangenheit ausgeht. Das ist der Grund, warum 1987 viele Leute sehr viel Geld an der Börse verloren haben. Am 19. Oktober 1987 (Black Monday) verlor der Dow Jones 22,6% an nur einem Tag – in Hong Kong waren es sogar 45%. Der bis dahin bekannte schwärzeste Tag war im Oktober 1929 mit „nur“ 12%.

2. Kleine, unabhängige Fehler zulassen

Wie schon oben erwähnt, wird durch falsche Interventionen versucht, jegliche Form von Zufall schon im Vorfeld zu unterbinden. Doch sind es gerade die kleinen (und manchmal auch die etwas größeren) Fehler, aus denen wir am meisten Lernen und das System damit robuster oder sogar antifragiler machen. Die Grundprinzipien einer Microservice-Architektur sind beispielsweise Dezentralität und Vertikalität. Die Autonomie der Services und Entwicklungsteams lassen parallele Entwicklungsgeschwindigkeiten, unterschiedliche Methodiken und diversifizierte Technologien zu, auch um diese einzeln gemachten Erfahrungswerte wieder in die Gesamtplattform einfliessen zu lassen. Auch sind Störungen in den Teilbereichen erlaubt, ohne das gesamte System zu gefährden. All das führt dazu, dass das Gesamtsystem immer stabiler, robuster oder sogar antifragiler wird, sofern man die richtigen Schlüsse daraus zieht.

Übertragen auf die Finanzwelt wird ein Investor möglichst voneinander unabhängige Investments tätigen und ein Unternehmen ist gut beraten, sich gegen Black Swan-Events (z.B. das Eintreten eines neuen Wettbewerbers in den Markt) zu wappnen, _bevor_ das Ereignis eintritt.

3. Optionalität

Ein robustes oder antifragiles System zeichnet sich immer dadurch aus, dass es Optionen mit sich bringt. Bestes Beispiel ist hierfür die Evolution. Einzelne Individuen sterben, sogar ganze Spezies verschwinden. Insgesamt betrachtet, sind die überlebenden Arten stärker als die bereits ausgestorbenen (the survival of the fittest) und das Gesamtsystem profitiert davon.

Ein Beispiel aus der Finanzwelt: Benjamin Graham, Vater der sog. fundamentalen Wertpapieranalyse, investierte nur in Firmen, die am Aktienmarkt unterbewertet waren und deren Assets über diesem Wert lagen. Somit hatte er neben der Chance auf Wertsteigerung immer noch die Option, die Assets selbst zu liquidieren.

Haste was, biste was – haste nix…

Photo by Adeolu Eletu on Unsplash
Photo by Adeolu Eletu on Unsplash

Stellen wir uns vor, wir haben alles richtig gemacht und waren persönlich oder mit dem jungen, flexiblem Startup sehr erfolgreich und haben als positiven Nebeneffekt sehr viel Geld verdient. Nun haben wir allerdings mehr zu verlieren, als zu gewinnen. Sprich, wir werden fragil. Persönlicher Reichtum kann für manchen eine hohe Belastung sein. Er kann Dinge verkomplizieren und sie oder ihn in seiner Optionalität stark einschränken. Ein Top Executive sollte durchaus ein üppiges Einkommen haben. Aber ist er bei allen Terminen, Verpflichtungen und Verantwortung gegenüber seinem Unternehmen, Mitarbeitern und auch seinem privaten Umfeld wirklich frei in seinen Entscheidungen? – Ein Effekt den man allgemein hin als Tretmühleneffekt bezeichnet.

Das Ziel muss es also sein, (finanziell) erfolgreich zu sein _und_ dabei seine Optionalität zu erhalten bzw. diese sogar auszuweiten. Oder wie es Nassim Taleb definiert:

A way of achieving independence and the ability to only occupy your mind with matters that are of interest to you

Nassim Nicholas Taleb

Die Hantelstrategie

Photo by Victor Freitas on Unsplash
Photo by Victor Freitas on Unsplash

Nach Warren Buffet gibt es genau zwei Regeln für Investments: 1. Never Lose Money, 2. Don’t forget Rule #1. Davon abgeleitet ist die Hantelstrategie (Barbell Strategy). Auf der einen Seite schützt sie vor zu großen Risiken (small downside), gleichzeitig ermöglicht sie aber auch ein hohes Gewinnpotential (large [potential] upside). Verallgemeinert gesprochen, kombiniert sie eine eher konservative mit einer aggressiven Vorgehensweise und ist eine Replikation der konvexen Funktion von weiter oben.

So kann ich bei meiner persönlichen Karriereplanung meine Entrepreneur-Aktivitäten durch den sicheren 9to5-Job absichern, genauso so kann ich nach Buffets Regeln, einen kleinen Anteil meines Portfolios in hyperaggressiven Anlagen (bspw. Biotechfirmen) durch den größeren Teil in eher konservativen Investments schützen.

Fazit

Bad companies are destroyed by crisis, good companies survive them, great companies are improved by them.

Andy Grove

Antifragile Systeme werden durch Unsicherheiten, durch Stressfaktoren und vor allem durch Zeit sogar besser.

Wie kann man nun das alles für den Anstoß von Innovationen nutzen?

Indem man sich in Schwierigkeiten bringt. Sie müssen ernsthaft, aber nicht lebensbedrohlich sein. Innovationen haben sich häufig aus Notsituationen ergeben oder zumindest aus einem echten Need. Gleichzeitig kann die Finanzierung ein Steuerinstrument sein (Stichwort: metered funding), um es sich nicht all zu gemütlich in seinem Labor zu machen. Not macht eben erfinderisch.

Artifica docuit fames – Kunstfertigkeit wird aus Hunger geboren

Diese Idee taucht in der Literatur immer wieder auf. Ins neuere übersetzt: „When life gives you lemon, make lemonade“ – Bei der Überreaktion auf Rückschläge wird zusätzliche Energie freigesetzt, die zu Innovationen führt.

Leider steht diese Erkenntnis vielfach im Widerspruch zu heutigen Methoden und Vorstellungen im Zusammenhang mit Innovation und Fortschritt. So neigen wir doch schnell zu der Annahme, Innovationen resultieren aus bürokratischen Finanzierungsmaßnahmen und Planungsinitiativen („Nun innoviert mal schön!„). Man muss sich dabei zwangsläufig die Frage stellen, wie die großen Entwicklungssprünge, angestoßen von Nicht-Akademikern, Technikern und Unternehmern, zwischen industrieller Revolution und Silicon Valley, jemals möglich waren.

Ein weiterer Aspekt spielt in diesem Kontext eine Rolle: Aus Erhebungen zum Zustand der Gesellschaft geht hervor, dass, je reicher wir werden, desto schwerer fällt es uns, unseren Verhältnissen entsprechend zu leben. Mit Knappheit kommen wir besser zurecht als mit Überfluss. Übertragen wir das auf die Unternehmen, bedeutet dies, dass sie immer weniger bereit sind, Risiken einzugehen, umso erfolgreicher sie sind bzw. waren.

Möchte man also die „Leichtigkeit“ zurück erlangen, Innovationen auch im Konzernkontext zu ermöglichen, so bedarf es eines antifragilen Innovationsökosystems (abgesichert durch die „Barbell Strategy„), in dem man unabhängige Vorhaben ermöglicht, den es erlaubt ist, eigene Fehler und Erfahrungen zu machen, um daraus für die Zukunft lernen. Vorhaben, die sich im Laufe der Zeit vielleicht zu etwas völlig anderem entwickeln, als man sich vorher vorgestellt hat. Dabei lässt man diese Vorhaben am besten in Ruhe, statt intervenierend einzugreifen. Ein solches diversifiziertes Portfolio im Gesamtsystem macht unvorhersehbare Ereignisse (Black Swans) zunehmend unrelevant – solange man die richtigen Schlüsse daraus zieht.

Wie man ein solches Ökosystem ausgestalten kann, möchte ich immer wieder in den nächsten Artikeln beschreiben.

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