Ein Brief aus der Welt nach Corona – von mir – an mich

Markus/ März 25, 2020/ Innovation, Nachgedacht/ 0Kommentare

24.09.2020

Hey Markus!

Wow! Was für ein Ritt. Das letzte halbe Jahr war wohl die einschneidendste Zeit, die ich bisher erlebt habe. Zurückblickend kann man sagen, dass sich im März die Welt, wie wir sie bisher kannten, nahezu vollständig aufgelöst hat. Nächste Woche, Anfang Oktober, stehen wir kurz vor der Veröffentlichung eines Medikaments für die Behandlung des Coronavirus SARS-CoV-2 und man unterscheidet bei der Zeitrechnung wohl schon bald zwischen vor und nach COVID-19.

Photo by John Cameron on Unsplash
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Nach einer ersten Schockstarre, begleitet von panikartigen Reaktionen wie Hamsterkäufen, etc., begann die Menschheit sich auf ihre wesentlichen Werte zu besinnen. Menschen rückten zusammen, kommunizierten und halfen einander – privat und beruflich. Aus einem „social distancing“ wurde lediglich ein „physical distancing“, da man die räumliche Distanz durch die Nutzung digitaler Kommunikationswege schnell überwand. Firmen und andere Einrichtungen, die es nie für vorstellbar gehalten haben, führten ad hoc Dinge wie Home Office ein; virtuelle Meetings und verteiltes Arbeiten wurden schnell zu Normalität. Berufsskeptiker der Führungsetagen merkten, dass es keine gravierenden Produktivitätseinbußen gab und auch der oft prognostizierte Kontrollverlust blieb aus – zumindest in den Branchen, die es sich eigentlich schon ohne eine Pandemie erlauben hätten können, auf verteiltes remote arbeiten zu setzen. Heute ist es eher die Regel, das Video Conferencing System anzuschmeissen, statt sich zum „wichtigen“ Meeting mühselig auf den Weg zum Businessflieger zu machen. Und auch aus den letzten arbeitsergebniskontrollierenden Führungskräften sind Servant Leader geworden, die eher fragen statt anzuweisen, die sich täglich darum bemühen, auch remote ein ideales Arbeitsumfeld von psychologischer Sicherheit, Eigenverantwortung und Produktivität zu schaffen.

Auch in den Schulen ist die früher endlos debattierte Digitalisierung nun in Windeseile Realität geworden – mit einem noch nie dar gewesenen Investitionspaket. Jede Schule ist mit ausreichend Bandbreite angebunden, jedes Klassenzimmer verfügt über digitale Tafeln und jeder Schüler ist mit einem Tablet ausgestattet.

Der Weg dahin war alles andere als einfach. Es war eine Zeit der Improvisation. In Italien, wo die Epidemie in Europa am stärksten grassierte, wurde mit Bestandteilen aus Taucherausrüstungen Beatmungsgeräte nachgebaut; die so dringend benötigt wurden, um Leben zu retten! Fehlende Teile wurden einfach mit Hilfe von 3D-Druckern nachproduziert.

Photo by Med Badr Chemmaoui on Unsplash
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So mancher hatte seine Probleme mit provisorischen Lösungen. Doch auch die, die meinten, immer noch auf Normalbetrieb laufen und ihre eingeschliffenen Prozesse leben zu müssen, waren schnell einsichtig. Es brach das Zeitalter der Radikalen Innovation aus. Für vieles gab es keine Blaupause oder alt hergebrachte Prozesse. Frühe Prototypen, teils auf Hackathons entworfen, erschienen auf der Bildfläche. Erfolgsversprechendes wurde weiter entwickelt, anderes verschwand wieder. Wettbewerber sprachen auf einmal miteinander, arbeiteten zusammen und entwickelten gemeinsame Strategien und Produkte, die nicht nur das Überleben in dieser schwierigen Zeit sicherten, sondern darüber auch hinaus anhielten. Stationäre, lokale Händler und Dienstleister schlossen sich zusammen, bauten die für tot gehaltenen Local Commerce-Plattformen auf und kooperierten bei der Lieferlogistik; heute ist es beispielsweise Usus, lokal online einzukaufen, sich den Einkauf liefern zu lassen oder abzuholen, oder seinen stationären Einkauf nachträglich nach Hause liefern zu lassen. Produktionsgewerbe wurde (wieder) lokal aufgebaut, um sich in Zukunft stärker gegen Störungen im globalen Wirtschaftsstrom abzusichern. Miteinander kooperieren, statt auf Kosten anderer zu profitieren, ist jetzt die Devise. „Das Global-System driftet in Richtung GloKALisierung: Lokalisierung des Globalen.„, wie es Matthias Horx ausdrückte.

Photo by Adam Jang on Unsplash
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Es hat sich was verändert: Die Menschheit ist aufmerksamer geworden. Sie wehrt sich gegen das Eingeschliffene und auch gegen das „immer ein bisschen mehr oder billiger“-Prinzip der notorischen Prozessoptimierer. Sie unterscheidet zwischen dem ganzen Rauschen und der wirklich wichtigen Signale. Sie ist wieder erfinderischer und bis zu einem gesunden Maß risikobereiter geworden. Statt der Epoche der Schreibtischtäter, Optimierer und Bedenkenträger, ist jetzt endlich wieder die Zeit der Pioniere, der Erfinder und Ingenieure, die lieber freundlich um Entschuldigung bitten, statt um Erlaubnis zu fragen. Geht nicht, gibt’s nicht!

Wir können wieder zwischen dem Wichtigen und Unwichtigen unterscheiden. Wir haben erkannt, dass die Löcher in den Investment-Depots zwar schmerzlich, aber nicht lebensentscheidend sind. Das verlässliche Wort des Nachbarn oder des Geschäftspartners ist entscheidender als jeder Deal. Wir haben unsere Angstbarriere durchbrochen. Wenn wir in die Zukunft schauen, sehen wir nicht mehr nur Bedenken und Gefahren, sondern genauso auch die Chancen und den Nutzen. Zurückgeschaut, nehmen wir die Zeit nicht mehr als Apokalypse, sondern als Neuanfang wahr.

Doch der Preis war hoch – sehr hoch. So bedurfte es doch eine weltumspannende Epidemie, mit viel zu vielen Toten, zu vielen zerstörten Existenzen und einer gravierenden wirtschaftlichen Krise um zu zeigen, dass zum einen radikale Populisten und selbstsüchtige Despoten in Krisenzeiten keinerlei Antworten liefern und die Dinge eher verschlimmern als verbessern und zum anderen, dass der fragile Optimierungswahn in unseren Wirtschaftsorganen am Ende angekommen ist. Wir benötigten einen gehörigen Tritt in den Arsch, um darüber nachzudenken, wie wir in allen privaten und beruflichen Lebensbereichen robuster, ja sogar antifragiler werden. Wieder einmal hat eine Not, ein unvorhersehbares Ereignis mit großen Auswirkungen, ein Black Swan Event, zu einer radikalen Verbesserung geführt. Und das ist das einzig positive daran.

Stay safe, stay home – see you on the other side,

Dein Markus

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